Ein Warnschild mit der Aufschrift Kanalsanierung
Ein Warnschild mit der Aufschrift Kanalsanierung adobe.stock.com - Ronald Rampsch

Unsichtbare Verluste: Digitale Lösungen für die Instandhaltung von Wasserinfrastrukturen

30.10.2025

Unsichtbare Schäden wie Risse oder Leckagen beeinträchtigen unsere Wasserinfrastrukturen. Die Folgen defekter Netze reichen von unnötigen Wasserverlusten bis hin zu Umwelt- und Gesundheitsrisiken. Digitale Lösungen und KI-gestützte Verfahren eröffnen neue Wege, um Probleme frühzeitig zu erkennen und unsere Wasserinfrastrukturen zukunftssicher zu machen.

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Wasser ist eine der wertvollsten Ressourcen der Welt. Damit es jederzeit zuverlässig aus dem Hahn fließt und verbrauchtes Schmutzwasser wieder sicher abgeleitet wird, braucht es ein komplexes Netz aus Leitungen und Anlagen. Diese Infrastruktur bildet das Rückgrat unserer Versorgung – oft unsichtbar im Untergrund und doch unverzichtbar für Gesundheit, Umwelt und Lebensqualität. Doch vielerorts ist dieses Netz in die Jahre gekommen.

Ein Blick in Vergangenheit und Gegenwart

In den 1970er-Jahren führten die damalige Finanzkrise und die globale Rezession zu sinkenden Investitionen in die städtische Wasserinfrastruktur. Wartung und Erneuerung blieben vielerorts auf der Strecke – mit Folgen, die bis heute spürbar sind. Nach einer Studie im Auftrag des Verbands kommunaler Unternehmen (BBH, 2025) werden in den kommenden zwei Jahrzehnten rund 800 Milliarden Euro benötigt, um die Qualität und Sicherheit der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung auf heutigem Niveau zu halten. Zwar fließen bereits heute etwa 10 Milliarden Euro pro Jahr in den Erhalt der Netze und Anlagen, doch laut Studie müsste diese Summe auf durchschnittlich 40 Milliarden Euro jährlich steigen, um die zukünftigen Herausforderungen bewältigen zu können. Angesichts der zusätzlich zunehmenden Belastung durch die Auswirkungen des Klimawandels wird deutlich, dass neben höheren Investitionen vor allem innovative Maßnahmen zur Effizienzsteigerung dringend notwendig sind.

Wo Verluste entstehen und warum sie zu vermeiden sind

Die unzureichenden Investitionen vergangener Jahrzehnte zeigen Folgen: Leitungen verschleißen durch Materialermüdung, werden durch Wurzeleinwuchs oder Erosion beschädigt und sind anfällig für Risse oder Verstopfungen. Solche Schäden können ernste Konsequenzen haben. Im Abwassernetz können die Schäden zu unkontrolliertem Austritt von Schmutzwasser, Grundwasserinfiltration und letztlich zur Verschmutzung von Wasserressourcen führen. Dies geht mit erheblichen Umwelt- und Gesundheitsrisiken einher. Des Weiteren ist zu beachten, dass Schäden an den Kanälen die Zuverlässigkeit hydraulischer Prognosemodelle beeinträchtigen, die auf der Annahme intakter Kanäle basieren. Defekte können die Genauigkeit dieser Modelle bei der Vorhersage von Hochwasserereignissen negativ beeinflussen (Sun et al., 2023).

Auch im Trinkwassernetz sind die Folgen gravierend. Weltweit geht etwa ein Drittel des aufbereiteten Trinkwassers verloren, weil es durch Leckagen oder Rohrbrüche unbemerkt entweicht. Dieses Wasser steht den Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht zur Verfügung – und es kann auch nicht abgerechnet werden. Wasserversorgungsunternehmen sprechen deshalb von „Non-Revenue Water“ (NRW): Investitionen in Wassergewinnung, -aufbereitung und -förderung lassen sich nicht amortisieren. In Deutschland ist die Lage noch nicht so dramatisch. Hier liegt der Anteil von Non-Revenue Water meist bei nur 3 bis 7 Prozent. In anderen europäischen Ländern wie in Italien oder Bulgarien sind die Verluste jedoch deutlich höher und können bis zu 40 Prozent betragen. Auch wenn der Handlungsdruck in Deutschland derzeit noch geringer ist: Jeder Verlust bedeutet eine Verschwendung von Ressourcen und unnötige Kosten. Je früher Schäden erkannt und behoben werden, desto besser lassen sich größere Probleme vermeiden.

Digitale Technologien als Chance

Die Überwachung und Instandhaltung von Trinkwasser- und Abwassernetz ist komplex und bisher oft auf manuelle Inspektionen angewiesen. Daneben sind die Verfahren zeitaufwendig, reaktiv und kaum geeignet, große und immer komplexere Systeme kontinuierlich im Blick zu behalten. Hier zeigt sich, wie groß das Potenzial neuer Technologien ist: Digitale Methoden können Netze effizienter überwachen, Schäden frühzeitig identifizieren und die Instandhaltung gezielter steuern. Zwei Beispiele verdeutlichen den Mehrwert solcher Lösungen.

Intelligente Leckage-Erkennung im Trinkwassernetz

Ein Beispiel liefert das Forschungsprojekt iOLE (Intelligente Online Leckage-Erkennung, Laufzeit 2023–2026), eine Kooperation vom Kompetenzzentrum Wasser Berlin, der Technischen Universität Berlin, Gelsenwasser und der Urban Impact Agency, gefördert durch das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) (ehemals: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)). Ziel ist es, Betreiber von Trinkwassernetzen mit einem benutzerfreundlichen digitalen Werkzeug zu unterstützen, das Leckagen frühzeitig sichtbar macht. Entwickelt wurde eine Software, die modell- und datenbasierte Methoden kombiniert.

Der datenbasierte Algorithmus LILA der Technischen Universität Berlin nutzt künstliche Intelligenz (KI) und Drucksensoren, um Lecks in der Nähe der Sensoren zu erkennen. Das Kompetenzzentrum Wasser Berlin bringt zusätzlich das modellbasierte Dual Model (Steffelbauer et al., 2021) ein: Gemessene Druckdaten werden in ein hydraulisches Modell eingespeist und etwaige Abweichungen vom erwarteten Verbrauch können durch Simulationen sichtbar gemacht werden. Durch nachfolgende iterative Simulationen lässt sich schließlich eine Rangliste der wahrscheinlichsten Positionen für das Leck erstellen – bis auf die Ebene einzelner Rohre.

 

Ein Schaubild
Im Projekt iOLE werden modellbasierte (Dual Model) und datenbasierte (LILA) Algorithmen kombiniert, um Leckagen effizient und robust frühzeitig zu detektieren und zu lokalisieren. KWB Kompetenzzentrum Wasser Berlin.

Die Kombination beider Verfahren ermöglicht eine deutlich höhere Genauigkeit und eine zuverlässigere Ortung möglicher Leckagen. Gleichzeitig setzt iOLE auf Benutzerfreundlichkeit und Akzeptanz: Damit die Technologie nicht nur für Expertinnen und Experten in den Bereichen Datenanalyse und Programmierung, sondern auch für das Instandhaltungspersonal nutzbar ist, werden während der gesamten Entwicklungsphase regelmäßig Fachleute aus der Wasserwirtschaft eingebunden. So fließen Erfahrungen, Anforderungen und Rückmeldungen aus der Praxis in die Entwicklung einer intuitiven Benutzeroberfläche ein. Eine Visualisierung auf Basis von GIS-Daten erleichtert die Entscheidungsfindung und schafft Transparenz. Dies soll zusätzlich Vertrauen in die neuen digitalen Werkzeuge aufbauen.

Als Teil des Förderprogramms „Digital GreenTech“ verfolgt iOLE einen Open-Source-Ansatz. Ziel ist es, nach Abschluss des Projekts die Software öffentlich verfügbar zu machen, damit auch andere Versorgungsunternehmen und Kommunen von den Entwicklungen profitieren können. So trägt iOLE nicht nur zur Weiterentwicklung der Leckageerkennung bei, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag zur Digitalisierung und Modernisierung der Wasserwirtschaft insgesamt.

Mitte November 2025 soll es einen Schulungs-Workshop für Wasserversorgungsunternehmen geben, um einen optimalen Einsatz sicherzustellen. Die Anmeldung dazu und weitere Informationen zu nachnutzbaren Werkzeugen und relevanten Publikationen werden demnächst über die Projektwebseite kommuniziert. 

KI für die Instandhaltung von Abwasserkanälen

Auch im Abwasserbereich gibt es spannende Ansätze. Das vom BMFTR (ehemals: BMBF) geförderte Forschungsprojekt AUZUKA (Automatische Zustandsanalyse von Kanalnetzen, Laufzeit 2016–2022) setzte auf künstliche Intelligenz, um die aufwendige Inspektion von Kanälen zu modernisieren. Zuvor mussten Fachkräfte die bei Kanalinspektionen aufgenommenen Bilder manuell auswerten – ein hoher Personalaufwand. Um eine Teilautomatisierung dieses aufwendigen Prozesses zu erzielen, entwickelte AUZUKA eine KI, die typische Schadensbilder wie Risse oder Wurzeleinwuchs automatisch erkennt. Fachkräfte müssen die Vorauswahl dann nur noch prüfen – eine erhebliche Zeitersparnis. 

 

Abbildung von einem Tunnel
Entwicklungsstand der KI aus dem Forschungsprojekt AUZUKA zur automatisierten Erkennung von Rissen im Abwasserkanal. AUZUKA / e.sigma Quelle: https://www.bwb.de/de/auzuka.php

Die Ergebnisse waren überzeugend: Im Durchschnitt konnte die Software über 80 Prozent der Schäden korrekt identifizieren. Seit 2022 wird das System bei den Berliner Wasserbetrieben (BWB) im Rahmen einer Testanwendung weiterentwickelt und auf Basis des SARIDA-Systems des Partners eSIC technisch umgesetzt. Die gemeinsame Entwicklung wurde dabei speziell auf die bei den BWB eingesetzten Panoramo-Aufnahmen von IBAK zugeschnitten. Kurzfristig profitierten auch andere Kommunen von diesem neuen Angebot, da ein breiterer Markt in der Regel zu besseren Leistungen und wettbewerbsfähigeren Preisen führt. Ein besonderes Merkmal von eSIC ist der transparente Umgang mit seiner KI-Anwendung: Anders als bei vielen anderen Anbietern ist jederzeit nachvollziehbar, wie die KI zu ihren Ergebnissen gelangt – kein „Black Box“-Verfahren, sondern ein offener, partnerschaftlicher Ansatz.

Mittel- und langfristig liegt der eigentliche Mehrwert jedoch in der technologischen Basis, die im Projekt geschaffen wurde. Die BWB verfügen heute über umfangreiche, gelabelte Schadensbilder, während eSIC die passende KI-Umgebung bereitstellt. Sollte die Entwicklung von Open-Source-KI-Modellen künftig ähnlich erfolgreich verlaufen wie bisher, wäre es perspektivisch sogar denkbar, dass die BWB ihre eigene KI-Anwendung betreiben – mit dem Potenzial, Kosten zu senken und Abhängigkeiten vom Markt zu verringern. Von solchen Entwicklungen können auch andere Kommunen profitieren, da sie zu einem offeneren und anwenderfreundlicheren Markt führen.

Darüber hinaus ist AUZUKA/SARIDA ein Baustein in der Vision des „Smarten Kanals“, die die BWB derzeit verfolgen. Ziel ist es, dass Kanalnetze künftig selbstständig Betriebszustände melden – ähnlich wie andere smarte Systeme. Dafür sollen Anwendungen wie digitale Modelle, Alterungsmodelle, KI-basierte Schadensanalysen wie AUZUKA und moderne Monitoringsysteme wie Inspektionsdrohnen und Sensorik (zum Beispiel in Inlinern verbaut)  miteinander kombiniert genutzt werden. Noch sind Forschungs- und Entwicklungsarbeiten nötig, doch die Grundlagen sind gelegt. Der smarte Kanal ist damit ein visionärer Beitrag zur digitalen Transformation der Wasserwirtschaft und ein Beispiel dafür, wie sich auch die Abwasserinfrastruktur Schritt für Schritt in Richtung einer digital vernetzten, smarten Stadt entwickelt.

Auf dem Weg zu einer digitalen Wasserwirtschaft

Die Beispiele machen deutlich: Digitale Technologien sind kein Ersatz für das Fachwissen der Ingenieurinnen und Ingenieure, aber sie sind ein kraftvolles Werkzeug, um ihre Arbeit effizienter, objektiver und zukunftssicher zu gestalten.

Ob bei der frühzeitigen Erkennung von Leckagen im Trinkwassernetz, bei der automatisierten Inspektion von Abwasserkanälen oder weiteren digitalen Lösungen für nachhaltiges Wassermanagement (siehe Blogbeitrag Digitale Lösungen für nachhaltiges Wassermanagement): Die Werkzeuge sind vorhanden. Jetzt gilt es, Vertrauen in die Systeme aufzubauen und die Potenziale dieser Technologien konsequent zu nutzen. So können wir sicherstellen, dass Wasser auch in Zukunft zuverlässig und in hoher Qualität bereitsteht.

 

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung der Autorin oder des Autors wieder.

Literaturhinweise und Leselinks

BBH – Becker Büttner Held PartGmbB, 2025: Investitionsbedarf in der (Ab-)Wasserwirtschaft. Verband kommunaler Unternehmen (VKU) (Hrsg.) Zugriff: https://www.vku.de/studie-investitionen-wasserwirtschaft [zuletzt abgerufen am 25. September 2025].

Steffelbauer, D. B.; Deuerlein, J.; Gilbert, D.; Abraham, E.; Piller, O., (2021): Pressure-leak duality for leak detection and localization in water distribution systems. Journal of Water Resources Planning and Management, 148(3), 04022001. Zugriff: https://doi.org/10.1061/(ASCE)WR.1943-5452.0001515 [zuletzt abgerufen am 25. September 2025].

Sun, L.; Zhu, J.; Tan, J.; Li, X.; Li, R.; Deng, H.; Zhang X.; Liu B.; Zhu, X., 2023: Deep learning-assisted automated sewage pipe defect detection for urban water environment management. Science of the Total Environment, 882, 163562. Zugriff: https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2023.163562 [zuletzt abgerufen am 25. September 2025].

iOLE – Intelligente Online-Leckageerkennung: https://www.iole.tech [zuletzt abgerufen am 25. September 2025].

LILA – Leckage Identifizierungs- und Lokalisierungsalgorithmus: https://www.tu.berlin/swn/forschung/datengestuetzte-instrumente-fuer-kritische-urbane-wasserinfrastruktur [zuletzt abgerufen am 25. September 2025].

AUZUKA – Automatische Zustandsanalyse von Kanalnetzen: https://www.bwb.de/de/auzuka.php [zuletzt abgerufen am 25. September 2025].

Die Berliner Kanalisation: Unsichtbar und unentbehrlich: https://www.bwb.de/de/assets/downloads/Berliner-Kanalisation_2012_web.pdf [zuletzt abgerufen am 25. September 2025].

Der Wasserkreislauf: https://www.bwb.de/de/wasserkreislauf.php [zuletzt abgerufen am 25. September 2025].

Blogbeitrag „Digitale Lösungen für nachhaltiges Wassermanagement“: https://www.smart-city-dialog.de/wissen/blog/digitale-loesungen-fuer-nachhaltiges-wassermanagement [zuletzt abgerufen am 25. September 2025].

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