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In einer zunehmend vernetzten Welt stehen smarte Städte und Regionen im Zentrum technologischer Innovationen und urbaner Transformationen. Eine gute Data Governance in der Verwaltung hilft dabei, interne Strukturen und Prozesse zu modernisieren, schafft einen rechtssicheren Rahmen zur Erhebung und Verwendung von Daten und garantiert so den langfristigen Erfolg innovativer städtischer Prozesse.
Anforderungen an die Datennutzung der Verwaltung
Im Zuge von Smart-City-Initiativen werden zentrale Strategien und Formate entwickelt, um den Zugang zu und die Nutzung von urbanen Daten zu ermöglichen. Häufig liegt der Fokus auf Fragen der technischen Machbarkeit und der benötigten Personalressourcen. Diese eingeschränkte Perspektive übersieht jedoch entscheidende Herausforderungen, deren frühzeitige Lösung für den Erfolg datengetriebener Stadtentwicklungsprojekte unerlässlich ist.
Auch die Forschung zu Data Governance konzentrierte sich bisher hauptsächlich auf organisatorische Prozesse und Strukturen im privatwirtschaftlichen IT-Sektor. Die Erkenntnisse lassen sich jedoch nur eingeschränkt auf die öffentliche Verwaltung übertragen, da dieser Bereich strengeren Anforderungen unterliegt.
Die öffentliche Verwaltung muss insbesondere ihrer Verantwortung als Umsetzerin demokratisch legitimierter, politischer Entscheidungen gerecht werden und dabei stets ihre Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft im Blick behalten. Entsprechend dieser verfassungsrechtlichen Verantwortung ist es ihre Aufgabe, die Modalitäten, Prozesse und Abwägungskriterien ihrer Entscheidungen transparent zu gestalten.
Herausforderung Data Governance: Ein Werkstattbericht
Um deutsche Kommunen bei der Bewältigung der Herausforderungen rund um die Umsetzung datengetriebener Projekte zu unterstützen, untersucht das vom Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) zusammen mit dem Kompetenzzentrum Wasser Berlin (KWB) im Auftrag der Berliner Senatskanzlei durchgeführte Projekt „Data und Smart City Governance am Beispiel von Luftgütemanagement“ diese Fragestellungen aus der Perspektive der Verwaltung.
Das im Rahmen der Förderung als Modellprojekt Smart Cities in Berlin umgesetzte Projekt, an dem ich als Wissenschaftlicher Mitarbeiter des KWB beteiligt bin, zielt darauf ab, kommunale und privatwirtschaftliche Interessen unter Sicherung der Gemeinwohlorientierung zu integrieren. Dafür entwickeln wir anhand des Anwendungsfalls „Verbesserung der Luftqualität durch Verkehrsberuhigungsmaßnahmen“ einen digitalen Data-Governance-Wegweiser. Dieses soll Kommunen dabei unterstützen, datengetriebene Dienste in bestehende Verwaltungsprozesse zu integrieren.
Wir haben zunächst nicht nur Literatur gesichtet, sondern auch viele Gespräche mit Expertinnen und Experten der Berliner Verwaltung geführt. Dabei kristallisierten sich drei zentrale Probleme bei der Erhebung und Nutzung von Daten in der Stadtentwicklung heraus.
1. Erklärbarkeit: Der Umgang mit Daten erfordert die Fähigkeit, Informationen aus den Daten zu extrahieren und zu verstehen. Diese Datenkompetenz kann jedoch nicht bei allen Akteuren vorausgesetzt werden. Eine gezielte und zielgruppengerechte Aufbereitung der Entscheidungen und ihrer (Daten-)Grundlagen ist erforderlich, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei der Datenverarbeitung sind rechtlich verankert, beispielsweise in Art. 12ff. DSGVO und dem Rechtsstaatsprinzip.
2. Datenverfügbarkeit und -qualität: Das Prinzip der Datenverfügbarkeit wird problematisch, wenn der Zugriff aus technischen oder organisatorischen Gründen nicht möglich ist. Im kommunalen Bereich zeigt sich dieses Problem, wenn Verwaltungen auf Daten von privaten Unternehmen angewiesen sind, aber keinen Zugriff darauf haben. Umgekehrt besteht das Problem, wenn Verwaltungen verfügbare Daten nicht nutzen, die sie eigentlich für ihre Aufgaben brauchen. Auch nicht-standardisierte Daten, wie von Bürgerinnen und Bürgern gemessene Luftqualitätsdaten, stellen eine Herausforderung für einen rechtskonformen Einsatz in Maßnahmen der Verwaltung dar.
3. Schutzgesetze: Schutzgesetze jeglicher Art können Konflikte verursachen, wenn sie die Nutzung von Daten einschränken. Probleme entstehen beispielsweise, wenn Daten aus Datenschutzgründen nicht erhoben oder wiederverwendet werden dürfen oder die Funktionsweise von Algorithmen aus Gründen des Geschäftsgeheimnisses nicht offengelegt wird. Dies führt aufgrund der potenziellen Schäden, die durch die Nichteinhaltung von Gesetzen, Vorschriften oder Branchenstandards entstehen können, zu einer allgemeinen Verunsicherung im Umgang mit Daten, was im Extremfall in einem generellen Verzicht auf die Nutzung von Daten resultieren kann. Weiterhin fallen Betroffene der Datenerhebung unter verschiedene Schutzgruppen mit unterschiedlichen Anforderungen, die bereits beim technischen und organisatorischen Design der Datenverarbeitung berücksichtigt werden müssen. Verwaltungen müssen Schutzgesetze somit schon in der Konzeptionsphase berücksichtigen. Oft besteht eine Diskrepanz zwischen empfundenem Schutzbedarf und der rechtlichen Schutzwirkung, weshalb die frühzeitige Einbeziehung der Akteure wichtig ist.
Ein angemessener Austausch zwischen Stakeholdern ist für die Lösung all dieser drei Probleme essenziell, da nur so die unterschiedlichen Interessen an der Datenwertschöpfung ausgeglichen werden können. Dies erfolgt bereits in der Praxis, häufig jedoch nur implizit. Ein Versuch, diese Prozesse in der Verwaltung aufzudecken und mit theoretischen Grundlagen zu verbinden und neuen Formaten zu ergänzen, findet aktuell in Berlin statt.
Der Data-Governance-Wegweiser: Prozesse verstehen ‒ Daten nutzen ‒ Veränderungen anstoßen
Ausgehend von unseren Erkenntnissen haben wir den Data-Governance-Wegweiser als praxisorientierte Anleitung für Mitarbeitende der Verwaltung konzipiert. Wir vermitteln theoretische Grundlagen und stellen Arbeitshilfen und Vorlagen bereit. Damit soll der Einsatz von Daten in verschiedenen Anwendungsfällen und Kontexten so einfach wie möglich gemacht werden.
Unser Ansatz basiert darauf, die aktuellen Arbeitsschritte der Mitarbeitenden zu analysieren, um Möglichkeiten und Methoden zu finden, wie Daten effizient und möglichst konfliktfrei integriert werden können. Dafür wird zunächst der Ablauf einer Verwaltungsmaßnahme, wie etwa die Einführung einer Parkraumbewirtschaftungszone, detailliert analysiert, um Schnittstellen für die Einbindung von Daten zu identifizieren. Hierbei werden alle relevanten Arbeitsschritte, rechtlichen Grundlagen und beteiligten Akteure erfasst.
Passende Datensätze und die für ihre Nutzung erforderlichen technisch-organisatorischen Maßnahmen werden dann verglichen, um eine fundierte Entscheidung über die Integration von Daten im Prozess zu ermöglichen. Schließlich werden die neu anfallenden Teilprozesse in das ursprüngliche Prozessmodell integriert. Zudem wird dieses durch Beteiligungsformate ergänzt, um potenzielle Konflikte zwischen den Dateninteressen der beteiligten Akteure zu lösen und somit die nachhaltige Einbindung von Daten in die gewählte Verwaltungsmaßnahme sicherzustellen.
Für mich persönlich war die Entwicklung des Data-Governance-Wegweisers äußerst bereichernd, besonders angesichts der enormen Herausforderungen des Projekts. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit stellte dabei eine prägende Erfahrung dar: In intensiven Diskussionen, bei denen man oft an die eigenen Grenzen stieß, entstand der nötige Raum für neue Perspektiven und kreative Lösungsansätze. Nur so war es möglich, die Komplexität der technischen, organisatorischen und rechtlichen Aspekte zu durchdringen und eine Heuristik zu entwickeln, die diese Ebenen miteinander verbindet. Dabei war es entscheidend, die vielfältigen Facetten so zu vereinfachen, dass sie auch für andere Menschen außerhalb dieses mehrjährigen Forschungsprojektes verständlich und in einem praxisnahen Handbuch anwendbar wurden.
Data-Governance-Wegweiser
Der Wegweiser befindet sich aktuell in einer Testphase mit interessierten Kommunen und soll in seiner finalen Ausfertigung voraussichtlich Mitte 2025 öffentlich zugänglich sein. Bei Interesse am Projekt können Sie sich an den Projektleiter Maurice Stenzel (maurice.stenzel@hiig.de) wenden.
CUT-Projekt – Rollenverständnis und Data Governance
Neben der effizienten und konfliktfreien Integration von Daten, wie es das Berliner Projekt zeigt, ist die Rollenverteilung der verschiedenen Akteure eine weitere Herausforderung bei der Data Governance. Hier hat das von Hamburg, München und Leipzig initiierte Projekt „Connected Urban Twins“ (CUT) spannende Pionierarbeit geleistet und einen innovativen Ansatz zur Rollenverteilung entwickelt. Diese spielt auch aus meiner Sicht eine Schlüsselrolle in der organisationalen Data Governance. Das CUT-Modell berücksichtigt die zentralen und dezentralen Rollen, die für den Betrieb Urbaner Datenplattformen und Digitaler Zwillinge erforderlich sind. Die Rollen sind flexibel gestaltet, um sie an die spezifischen Bedürfnisse und Strukturen der einzelnen Kommunen anpassen zu können.
Eine klar definierte Rollenverteilung sichert nicht nur den rechtsgemäßen Umgang mit Daten, sondern auch ihre Qualität. Zusätzlich unterstützt das Kennzeichnen von Rollen auch mittels der klaren Festlegung von Zugängen und Arbeitspraktiken die Gewährleistung der Informationssicherheit (vgl. BSI, siehe Blogbeitrag Cybersicherheit).
Erfolgreiche Data Governance führt zu einer höheren Datenqualität, wenn Daten als Entscheidungsgrundlage in einem bestimmten (Smart-City)-Kontext nicht nur rein technisch für den jeweiligen Zweck verwendet werden können, sondern auch in Anbetracht der rechtlichen Anforderungen verwendet werden dürfen (bzw. sollen). Angesichts der Komplexität der Qualitätssicherung von Daten sowohl auf technischer (Lesbarkeit, Interoperabilität, Metadaten), als auch auf inhaltlicher Ebene (Genauigkeit, Vollständigkeit, Relevanz und Aktualität), wurde innerhalb des CUT-Projektes ebenfalls ein Leitfaden zur Bewertung der Datenqualität entwickelt.
Ausblick
Die zukünftige Stadtentwicklung wird stark von der Fähigkeit der Verwaltung abhängen, datengetriebene Projekte effektiv zu managen. Dazu gehört die Entwicklung klarer und transparenter Richtlinien für die Datennutzung, die Sicherstellung der Datenqualität und -verfügbarkeit sowie der Schutz personenbezogener Daten. Diese Maßnahmen sind notwendig, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu stärken und die Akzeptanz für datengetriebene Lösungen zu erhöhen.
Nur durch eine fundierte Data Governance können Kommunen sicherstellen, dass sie die Vorteile der Digitalisierung nutzen und gleichzeitig die gesellschaftlichen und individuellen Rechte der Bürgerinnen und Bürger schützen.
Literatur
Auer, A.; Grafenstein, M.; Kruse, L.; de Macedo Schäfer, N., 2023: Öffentlichkeitsbeteiligung in der datengetriebenen Verwaltung. Ein prozessbezogener Ansatz zur Lösung datenbezogener Interessenkonflikte durch die Ergänzung formeller Beteiligung. DOI: 10.2139/ssrn.4603704
BBSR - Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, 2021: Smart City Charta. Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten. Zugriff: https://www.smart-city-dialog.de/wp-content/uploads/2019/12/smart-city-charta-langfassung.pdf [abgerufen am 17.09.2024].
Bogumil, J.; Kuhlmann, S., 2021: Digitale Transformation in deutschen Kommunen. Die Verwaltung, (1), 105-132.
BSI - Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, o. J.: BSI-Standard 200-2. Zugriff: https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/Unternehmen-und-Organisationen/Standards-und-Zertifizierung/IT-Grundschutz/BSI-Standards/BSI-Standard-200-2-IT-Grundschutz-Methodik/bsi-standard-200-2-it-grundschutz-methodik.html [abgerufen am 17.09.2024].
de Macedo Schäfer, N.; Schweinberg, M. J.; Stenzel, M.; von Grafenstein, M., 2023: Data Governance im Spannungsfeld datengetriebener Verwaltung. Herausforderungen von Kommunen bei der Etablierung einer Smart City Administration. HIIG Discussion Paper Series 2023-4. Zugriff: https://doi.org/10.5281/zenodo.8297607 [abgerufen am 17.09.2024].
Grafenstein, M. v., 2022: Reconciling Conflicting Interests in Data through Data Governance: An Analytical Framework (and a Brief Discussion of the Data Governance Act Draft, the AI Regulation Draft, as well as the GDPR). HIIG Discussion Paper Series 2022-2. Zugriff: https://doi.org/10.5281/zenodo.6457735 [abgerufen am 17.09.2024].
Wischmeyer, T., 2018: Regulierung intelligenter Systeme. Archiv des öffentlichen Rechts, 143 (1), 1-66.
o. A., 2023: CUT – Handlungsfeld Rollen. Zugriff: https://www.connectedurbantwins.de/app/uploads/2024/01/Rollen_v1.0_CUT_Layout.pdf [abgerufen am 17.09.2024]
o. A., 2022: CUT – Handlungsfelder der Datengovernance. Zugriff: https://www.connectedurbantwins.de/app/uploads/2023/12/CUT_Handlungsfelder-der-Datengovernance_v1_0-1.pdf [abgerufen am 17.09.2024].
Leselinks
Data Governance Prozessmodell am Beispiel von Luftreinhaltung durch verkehrliche Maßnahmen in Berlin:
https://www.hiig.de/wp-content/uploads/2024/06/Prozesse_data-smart-city-governance_60x350_CMYK.pdf
CUT – Wissenstransfer:
https://www.connectedurbantwins.de/wissenstransfer/
CUT – Leitfaden zur Bewertung der Datenqualität:
https://www.connectedurbantwins.de/app/uploads/2023/12/FHH_Datenqualitaet_Template_2.0.xlsx
Blogbeitrag Cybersicherheit:
https://www.smart-city-dialog.de/blogs/cybersicherheit-fuer-kritische-infrastrukturen